GESTALTUNGSPRINZIPIEN
Damit du selbst die Gestaltungselemente, die die Architekten aus ihrem Entwurf umgesetzt haben und die unter anderem für eine ästhetische Warhnehmung sorgen, beim Schacht XII erkennen kannst, zeigen wir dir die Besonderheiten der Anlage.

Am Haupteingang, der nur für Besucher vorgesehen war, beginnt die bewusste Blickführung, die die Wahrnehmung des Betrachters in der Anlage leitet und strukturiert. Symmetrie, Axialität und Proportionen dienen der Architektur als Hilfsmittel. Die axiale Zufahrt von der Hauptstraße senkt sich bis zum Haupteingang leicht ab und rückt das Fördergerüst in den Mittelpunkt. Beginnend mit den zwei Pförtnerhäuschen setzt durch die gestaffelten Gebäudehöhen eine Aufwärtsbewegung ein, die zur Schachthalle unter dem Gerüstkopf leiten. Die Schachthalle als hochrechteckiger Baukörper mit zurückgesetztem Aufbau erzeugt den Eindruck einer perspektivischen Verjüngung und sorgt für eine noch erhabenere Erscheinung des Fördergerüsts. [1]
Haupteingang

Der Ehrenhof wurde ebenfalls nur als Empfangsbereich für Besucher genutzt und wurde von Arbeitern nur selten betreten. Für ihre Repräsentationsabsichten griffen industrielle Bauherren das aus dem Barock stammende Element des Ehrenhofes wieder auf. Die Architekten interpretierten den barocken Ehrenhof für den Anspruch eines modernen Betriebes neu. Auf prunkvoll gestaltete Gebäude wurde verzichtet. Schlichte, für die Produktion bestimmte Gebäude flankieren den Platz. Zusammen mit der freien Rasenfläche erzeugen sie eine Art Sogwirkung des Fördergerüsts, bei der der Blick durch die gleichmäßig unspektakuläre Gestaltung des Platzes auf das Fördergerüst gelenkt wird. Für den Schacht XII steht hier keine repräsentative Verwaltungsarchitektur im Fokus, sondern die arbeitstechnischen Einrichtungen des Betriebes. [2]
Ehrenhof

Das Doppelbockgerüst ist das Wahrzeichen des Bergbaus, weshalb es eine gewisse „Selbstständigkeit“ gegenüber den umliegenden Gebäu-den erhält. Durch die gerichtete Sichtachse fällt für den Besucher der Anlage der erste Blick auf das Herzstück der Kohlegewinnung. Über die darunter befindliche Schachthalle wird eine Aufwärtsbewegung des Blickes in Richtung Gerüstkopf eingeleitet. Durch die betonte Horizonta-le der Krahnbahn, die rechts und links über die Breite der Schachthalle hinausragt, wird der Aufwärtsbewegung des Blickes eine deutliche Grenze gesetzt. Vorbereitet wird das Abbremsen des Blickes bereits durch die Seilscheiben, deren Mittelpunkte ein Quadrat bilden, das die Aufwärtsbewegung neutralisiert. Damit ist der Gerüstkopf vom Richtungsimpuls her völlig ausgewogen und der Blick des Betrachters ruht auf ihm. Wegen der seitlich überstehenden Seilscheiben dominiert die obere Seilscheibenbühne, sodass das Fördergerüst kopflastig wirkt und sich mit beeindruckender Schwere über der Schachthalle erhebt. [3]
Kopf des Fördergerüst

Die Streben des Doppelbockgerüsts verjüngen sich in Richtung der Pyramiden ähnlichen Sockel, d.h. entgegen der Seherwartung, wodurch eine innere Dynamik entgegen der Schwerkraft entsteht. Die ursprünglich zu beiden Seiten angebrachten Seile wurden im rechten Winkel zueinander geführt und bildeten einen imaginären Scheitelpunkt direkt im oberen Abschluss des Gerüsts, der Krahnbahn. Da diese beiden Seile stumpfwinkliger zusammenliefen als die Streben, entstand der Eindruck, die Seile versuchten das sich abstoßende Gerüst am Boden zu halten. Diese in der Konstruktion sichtbarwerdende Bewegung nach unten in die Erde und nach oben zu Tage spiegeln die Essenz der Kohleförderung wider. Das bedeutet, dass das Fördergerüst zeigt, was es tut. Seine ästhetische Erscheinung repräsentiert die technische Funktion und ist damit zugleich Ausdruck des an sich unsichtbaren Zentrums der Zeche, dem unterirdischen Förderschacht. [4]
Sockel des Fördergerüst

Die Nebenachse ist für einen bestimmten Betrachtungsstandpunkt auf dem Gelände konzipiert worden. Von ihm aus erstreckt sich durch die Zentralperspektive, einem klassischen Mittel der Malerei, wie auf zweidimensionaler Fläche projiziert, eine tiefe Gebäudeschlucht mit einer Sogwirkung dessen Ende das hoch aufgestufte Kesselhaus bildet. Bei dieser Bildkomposition überwiegt zunächst die Horizontalität durch die Fensterbänder der flankierenden Gebäude. Erst direkt am Kesselhaus kommt es zu einem abrupten Richtungswechsel in die Vertikalität. [5]
Nebenachse heute

Die ursprüngliche Nebenachse mit dem 106 m hohen Schornstein, der jedoch wegen Einsturzgefahr 1979 abgerissen werden musste, verstärkte den Aspekt der Vertikalität noch einmal. Der durch das langgezogene Fensterband und den abgestuften Dachabschluss des Kesselhauses bereits eingeleitete Blick in Richtung Himmel wurde über den lang nach oben herausragenden Schornstein deutlich stärker hervorgehoben. Die Vertikalität erstreckt sich bis ins Unendliche, vor allem, wenn man sich den Rauch von damals vorstellt, wie er sich in der Atmosphäre verbreitet. [6]
Nebenachse ursprünglich

Auf der gesamten Anlage ist die Rechteckform allgegenwärtig. Bei den Fassaden wurde häufig ein Rasterfeld von 6 x 2 m verwendet, das dem Maß der Gleise unter der Kohlenwäsche entspricht. Das Stahlfachwerk besitzt besonders schmale Stahlprofile, die wie ein grafisches Element wirken. Die Fenster aus Drahtglas sind wenig transparent und bündig mit der Wand, sodass die Rasterstruktur bestimmend bleibt und die Fenster austauschbar mit der Ziegelausfachung sind. Sie haben die Aufgabe den Blick über die Fassade zu führen und Richtungsimpulse zu vermitteln. Die Nutzung und der Mensch dahinter bleiben nur erahnbar. Die Anlage spricht den Menschen als Betrachter und nicht als Benutzer an, wodurch der ästhetische und technische Traum einer völlig automatisierten Großanlage ohne menschliche Präsenz und Arbeit zum Ausdruck kommt. Der Maßstab des Menschen wird nur in der Gestaltung der Laternen berücksichtigt. Aus einfachen geometrischen Formen gebildet und mit figurativem Charakter eines Menschen fungieren sie wie vereinzelt positionierte Platzhalter. [7]
Fassaden

QUELLEN
[1] vgl. BOCKEMÜHL, Michael, VAN DEN BERG, Jörg, VAN DEN BERG, Karen, 1997. Zeche Zollverein Schacht XII in Essen: Gebauter Gedanke. Ostfildern: Verlag edition tertium, S. 29 ff. | Abb. aus: rottenplaces.de, Avda/CC BY-SA 3.0
[2] ebd. S. 31 ff. | Abb. aus: wikipedia.org
[3] ebd. S. 34 ff. | Abb. aus: kuladig.de, Manfred Steinhoff
[4] ebd. S. 34 ff. | Abb. aus: westfalium.de, Ann und Jürgen Wilde
[5] ebd. S. 40 ff. | Abb. aus: fotocommunity.de, r thier-grebe
[6] ebd. S. 40 ff. | Abb. aus: blog.rammelsberg.de, Meinholz
[7] ebd. S. 45 ff. | Abb. aus: architekt-boell.de, Bernd Langmack