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ÄSTHETIK & WAHRNEHMUNG

Damit du weißt, was sich hinter dem Begriff der Ästhetik versteckt und wie wir ihn deuten, erklären wir ihn dir Schritt für Schritt. Der Begriff Ästhetik leitet sich aus dem griechischem Wort „aisthesis“ ab und bedeutet Wahrnehmung [1]. Deshalb werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Grundlagen  der menschlichen Wahrnehmung.

Wahrnehmung

"Wahrnehmung ist ein Prozess, mit dem wir die Informationen, die von den Sinnessystemen bereitgestellt werden, organisieren und interpretieren."[2]

sinnliche Information

geistige Interpretation

Da sich jeder Mensch durch seine Erfahrungen ein eigenes, subjektives Wissen aneignet, sind auch seine geistigen Interpretationen subjektiv. Dies führt dazu, dass Menschen Dinge unterschiedlich wahrnehmen und empfinden. Laut dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) „bezeichnet [Ästhetik] genauer die Wissenschaft des Sinnes, des Empfindens“[3].

Repräsentation  ≠  Empfindung

"Das Resultat der Wahrnehmung sind die Wahrnehmungsinhalte. Das sind zum einen Repräsentationen der Umgebung und zum anderen subjektive oder private Empfindungen."[4]

Empfindung

Repräsentation

Wirklichkeit

"Die Wahrnehmung erzeugt kein Abbild, keine Rekonstruk-tion der physikalischen Wirk-lichkeit, sondern sie konstruiert aus den verfügbaren Informa-tionen eine handlungsrelevante interne Repräsentation."[5]

"Eine Repräsentation ist der Zustand des kognitiven Sys-tems, der dem Zustand der externalen Umwelt entspricht. Repräsentationen bilden äußere Gegebenheiten ab."[6]

"Empfindungen bezeichnen die rein subjektiven und qualitativen Merkmale des Wahrnehmungs-inhaltes. Sie umfassen die privaten phänomenalen Quali-täten, also die  Erscheinungen des Wahrnehmungsresultates im Bewusstsein des Wahrnehmen-den und müssen keine Ähnlich-keiten mit den Umgebungsmerk-malen aufweisen."[7]

Nicht nur durch unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit werden unsere Wahrnehmungen der Wirklichkeit beeinflusst, sondern auch durch eine gegenwärtige Tätigkeit. Indem wir mit unserer Aufmerksamkeit einen bestimmten Teil der Wahrnehmung selektieren.

Aufmerksamkeit

"Mit Aufmerksamkeit werden Prozesse bezeichnet, mit denen wir Informationen, die für aktuelle Handlungen relevant sind, selektieren bzw. irrelevante Informationen deselektieren. Selektion beinflusst die Wahrnehmung und die Handlungspla-nung und -ausführung und umgekehrt." [8]

"Aufmerksamkeit ist somit keine Erklärung für die Selektivität der Wahrnehmung: Sie ist ein Mechanismus, der die Selektivität der Wahrnehmung verursacht und daher erklärt."[9]

 

Aufmerksamkeit

Tätigkeit

Wahrnehmung

Mit den Prinzipien der Figur-Grund-Differenzierung wird eine Information über die Lage von Objekten im Vordergrund und im Hintergrund bereitgestellt. Die Trennung einer Figur vom Hintergrund erfolgt unteranderem über Symmetrieeigenschaften, über die Geschlossenheit als Merkmal der Figur oder die Größe von Elementen.[10]

Prinzipien der Figur-Grund-Differenzierung

Das Prinzip der Prägnanz besagt, das jedes Reizmuster so interpretiert wird, dass die sich ergebende Struktur so einfach und stabil wie möglich ist.[11]

Prägnanz

Die folgenden Interpretation (b), (c), (d) der Figur (a) sind zulässig, jedoch wird (b) in der Regel vorgezogen, weil sie die größte Prägnanz besitzt. [12]

(a)

(d)

(b)

(c)

"Die Gestaltungspsychologie ist eine Richtung der Psychologie, die sich im Bereich der Wahrnehmung besonders mit den Prinzipien der Wahrnehmungsorganisation beschäftigte. Sie geht davon aus, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Eine wichtige Erkenntnis besagt, dass Anordnungen von von Elementen Eigenschaften aufweisen können, welche die einzelne Elemente nicht haben, die sog. emergenten Eigenschaften." [12]

Gestaltpsychologische Organisationsprinzipien

Komponente

Komponente

Ganze Figur

Emergente Merkmale: Durch Kombination von zwei Komponenten entsteht eine neue Figur, die neue emergente Eigenschaften hat. Dargestellt sind Figuren mit den emergenten Eigenschaften Geschlossenheit und horizontale Fläche. [13]

"Die gestaltungspsychologischen Prinzipien geben Bedingungen an, unter denen sich Elemente zu Gestalten organisieren. Die Gestalten in einer Anordnung geben sich auf der Grundlage der Nähe von Elementen, der Ähnlichkeit von Elementen, der Kontinuität, der Fortsetzung von Bewegungsbahnen oder der koordinierten Bewegung von Teilen der Anordnung."[14]

Gestaltungsfaktoren

KONTINUITÄT:  

NÄHE:   

ÄHNLICHKEIT:   

GEIMEINSAMES SCHICKSAL:    

GESCHLOSSENHEIT:

GUTE FORTSETZUNG

SYMMETRIE:   

Verbundene Elemente werden als Teil derselben Figur gesehen.

Zwei Elemente bilden umso eher eine Einheit, je geringer der Abstand zwischen ihnen ist.

Zwei Elemente bilden eine Einheit, wenn sie sich ähnlich sind.

Dynamisches Prinzip bei dem Elemente sich mit gleicher Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegen.

Raumbildende Linienelemente werden als Teil eine Kontur gesehen.

Linienelemente einer ähnlichen Orientierung werden als Teil eine Kontur gesehen.

Bereiche werden als zusammenhängend gesehen, wenn sie symmetrische Linien als Konturen haben.

Die Erfahrungen, die ein Mensch in seinem Leben macht, hängen sehr stark von seiner Umgebung ab, in der er lebt. Andersherum beeinflusst die Beziehung, die ein Mensch zu seiner Umgebung entwickelt, auch seine Wahrnehmung dieser.

Umgebung

"Ästhetik untersucht im weitesten Sinne, die Art und Weise, wie die Umwelt empfunden wird und die Stellung des Individuums innerhalb der Umwelt."[15]

Umgebung

Individuum

Als handlungsfähiges Individuum haben wir als Mensch die Möglichkeit, nicht nur auf der konsumierenden Ebene wahrzunehmen, sondern wir können Ästhetik auch herstellen. Gestalten ist ein Mittel vieler Planer und Architekten, dass je nach Gestaltungsabsicht eine bestimmte Wahrnehmung erzeugt.

klassische & moderne Ästhetik

1908 beschreibt Hendrik Petrus Berlage die zukünftige Architektur wie folgt: "1. Die Grundlage einer architekto-nischen Kompo-sition soll wiederum nach einem geometrischen Sche-ma bestimmt werden; 2. Die charakteristischen Formen früherer Stile sollen nicht verwendet werden; 3. Die architektonischen Formen sollen nach der sachlichen Seite hin sich entwickeln". [17]

funktiopnale Gestaltung

repräsentative Gestaltung

"Fernwirkung war die Entwurfsmaxime, die zu diesen barocken Schloß-anlagen führte. Der Axial-symmetrie war die Gesamt-komposition unterworfen, um den Fernreisenden beeindrucken zu können - der zutage geförderte Wohlstand durfte gezeigt werden."[16]

klassische Ästhetik

moderne Ästhetik

QUELLEN

[1] GRÜTTER, Jörg Kurt, 1987. Ästhetik der Architektur: Grundlagen der Architektur-Wahrnehmung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, S. 43

[2] HAGENDORF, H., KRUMMERNACHER, J., MÜLLER, H., SCHUBERT, T., 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, S. 5 | Abb.: eigene Grafik

[3] BENSE, Max, 1965. Aesthetica: Einführung in die neue Aesthetik. Baden-Baden: AGIS-Verlag, S. 16

[4] ANSORGE, Ulrich, LEDER, Helmut, 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 12 | Abb.: eigene Grafik

[5] HAGENDORF, H., KRUMMERNACHER, J., MÜLLER, H., SCHUBERT, T., 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, S. 16

[6] HAGENDORF, H., KRUMMERNACHER, J., MÜLLER, H., SCHUBERT, T., 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, S. 24

[7] ANSORGE, Ulrich, LEDER, Helmut, 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 13

[8] HAGENDORF, H., KRUMMERNACHER, J., MÜLLER, H., SCHUBERT, T., 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, S. 8 | Abb.: eigene Grafik

[9] ANSORGE, Ulrich, LEDER, Helmut, 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 17

[10] HAGENDORF, H., KRUMMERNACHER, J., MÜLLER, H., SCHUBERT, T., 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, S.112 | Abb.: eigene Grafik      nach Kippbild nach Rubin

[11HAGENDORF, H., KRUMMERNACHER, J., MÜLLER, H., SCHUBERT, T., 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, S.113| Abb.: eigene Grafik      

[12 ]ANSORGE, Ulrich, LEDER, Helmut, 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 9

[13] Abb.: eigene Grafik

[14] HAGENDORF, H., KRUMMERNACHER, J., MÜLLER, H., SCHUBERT, T., 2011. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, S. 5

[15] GRÜTTER, Jörg Kurt, 1987. Ästhetik der Architektur: Grundlagen der Architektur-Wahrnehmung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, S. 43 | Abb.: eigene Grafik

[16] BUSCH, Wilhelm | SCHEER, Thorsten, 2002. Symmetrie und Symbol. Die Industriearchitektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer. Essen: Verlag der Buchhandlung Walther König, S. 36f | Abb.: eigene Grafik

[17] BUSCH, Wilhelm | SCHEER, Thorsten, 2002. Symmetrie und Symbol. Die Industriearchitektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer. Essen: Verlag der Buchhandlung Walther König, S. 38

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